Business Transformation Agilität

Und plötzlich sind alle agil

PVH ist eines der weltweit größten Modeunternehmen mit Marken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein. 2015 führte PVH einen selbst entwickelten digitalen Showroom ein. Boris Mirkovic, Digital Transformation Expert, erzählt, wie das Unternehmen lernte, agil zu arbeiten.

Vom Fashion Label zur Software Company? Tommy Hilfiger wird digital.    Foto: Severine Guthier
Vom Fashion Label zur Software Company? Tommy Hilfiger wird digital. Foto: Severine Guthier

Die Digitalisierung wartet nicht, bis du bereit bist.

Boris Mirkovic ist heute 32 Jahre jung, trägt Jeans und Vollbart. 2015 wurde er aus seinem Store in Düsseldorf, in dem er zu der Zeit als stellvertretender Leiter arbeitete, kurzfristig nach Amsterdam ins Headquarter von PVH Europe gerufen. Mit seinem Talent, Menschen zu begeistern, sollte er als Concierge für den brandneuen Digital Showroom den Vertriebsmitarbeitern und Händlern die Vorteile der Digitalisierung näherbringen. Er wurde damit genauso ins kalte Wasser geworfen wie die Mitarbeiter und Kunden. Heute ist er Digital Transformation Specialist der PVH Holding GmbH & Co. KG

Wir haben den Vertrieb agil gemacht, indem wir ihm gezeigt haben, worin die Vorteile bestehen, wenn man digital arbeitet.
Boris Mirkovic, Digital Transformation Specialist, PVH Düsseldorf

Es war die Zeit im Jahr, in der üblicherweise eine Reihe von Einkäufern großer Kaufhäuser kamen, um die Ware für das nächste Quartal zu ordern. Viermal im Jahr herrschte das pure Chaos, erzählt Boris Mirkovic. In tagelanger Vorarbeit wurde jedes einzelne Stück ausgesucht, gereinigt und gebügelt. Die neuen Styles wurden an Figuren in Szene gesetzt, die Textilien an Bügel gehängt, in Regale gelegt oder auf dem Boden ausgebreitet. Dann kamen die Einkäufer, nahmen alles in die Hand, legten es irgendwo wieder zurück und hinterließen beim Gehen neben den Bestellungen jede Menge Unordnung. Diese mussten die Mitarbeiter erst beheben, bevor sie auch nur eine Bestellung bearbeiten konnten.

 

Weg mit den Bügeleisen, ran an den digitalen Screen

Als Boris Mirkovic damals in Amsterdam ankam, betrat er einen karg eingerichteten Raum mit grauen Vorhängen und zwei großen Screens. Er sollte Einkäufern und den eigenen Vertriebsmitarbeitern zeigen, wie viele Vorteile der digitale Showroom im Gegensatz zum sonst üblichen Bodenchaos bietet. Und er sollte sie dafür begeistern. „Mir wurde die Software kurz gezeigt und wie alles funktioniert, und dann hieß es: Und das musst du jetzt weitertragen“, erzählt Boris Mirkovic.

Die Orderprozesse dauerten bis dato mindestens drei Tage, nun konnte alles an einem Tag abgewickelt werden. Die Kollektionen wurden digital auf den Bildschirmen ausgewählt, zusammengestellt und bestellt. Doch nicht jeder war sofort begeistert von dieser radikalen Veränderung. Ein 3D Modell sei kein Ersatz dafür, die Textilien mit eigenen Händen anzufassen. Der Vertrieb schrie auf, so könne und wolle man nicht arbeiten, weil man ihnen ihre sicheren Ankerpunkte für die Verkaufsgespräche genommen hatte.

Handel ist Wandel. Wenn wir stehen bleiben, ermöglichen wir anderen uns zu überholen.
Boris Mirkovic

Über Nacht wurde den Menschen die physische Ware aus der Hand gerissen und man setzte sie stattdessen vor einen Bildschirm. Das Wichtigste sei gewesen ihnen zu erklären, dass sie zwar einiges aufgeben mussten, aber viel mehr dafür bekamen – Das Verfahren war nur anders. Sie mussten lernen und verstehen wie das neue Verfahren, die Möglichkeiten und die vereinfachten Prozesse funktionierten. Und es galt sie dafür zu begeistern, erzählt Boris Mirkovic. So wurde dem Vertrieb schnell klar, dass sie durch die digitale Plattform sehr viel federführender wurden, weil sie Vorschläge für die Kunden schneller und flexibler vorbereiten und anpassen konnten. Die Kunden hatten großen Spaß daran, ihre Kollektion mit einfachen Handbewegungen selbst zusammenzustellen.  

Agile Projektentwicklung – Design Thinking

Die Initiative zum digitalen Showroom kam von ganz oben. Daniel Grieder, CEO PHV Europe und Tommy Hilfiger Global, war getrieben von der Idee, diese Orderprozesse mittels einer digitalen Plattform schneller, effizienter und für Vertrieb und Einkauf attraktiver zu gestalten. Er stellte persönlich ein Team zur Softwareentwicklung und eines für die digitale Transformation im Unternehmen zusammen.

Nach einem halben Jahr war der erste Prototyp fertig. Um in so kurzer Zeit von der Idee zum fertigen Produkt zu kommen, arbeitete das Entwicklerteam in kurz angelegten Sprints, um von vornherein ein Festfahren zu vermeiden. Mithilfe der agilen Projektentwicklungsmethode Design Thinking, konnte der Innovationsprozess schnell, nutzerorientiert und strukturiert gestaltet werden. Ziel war es, etwas ganz Neues MIT den Usern und nicht nur für die User zu schaffen. Die Plattform sollte intuitiv bedienbar sein und die Arbeit erleichtern – nicht verkomplizieren. Ausgewählte Vertriebsmitarbeiter, Einkäufer, Softwareentwickler, Marketingmitarbeiter, sogar eine Dolmetscherin zur Übersetzung der User- in IT-Sprache wurden in einer ständigen Feedbackschleife bei der Entwicklung direkt an die Seite geholt.

Nach und nach weitere Geschäftsbereiche digitalisieren

Nach der Digitalisierung des Vertriebs, haben PVH und Tommy Hilfiger inzwischen auch die Produktion beinah vollständig digitalisiert. Durch die Einführung eines 3D Designers ist es heute möglich, ein neues Stück zu entwerfen und es noch am selben Tag in den Händen zu halten. Das Geschäft wurde um digitale Innovationen, Softwareentwicklungen und -lösungen stark erweitert. Ein Softwareunternehmen wird PVH trotzdem nicht werden, so Boris Mirkovic „Einen vollständigen Shift werden wir niemals machen. Aber wir wollen Vorreiter und Lead in der Modebranche bleiben und dazu müssen wir uns eben permanent bewegen und weiterentwickeln, um nicht doch noch vom Wettbewerb überholt zu werden.“